KI in der Automobilproduktion

Verfasst von: Dirk Schart
11/22/2023

Lesezeit: 4 min

Künstliche Intelligenz ist im Begriff, die Qualitäts- und Endkontrolle der Automotive-Branche auf ein neues Niveau zu heben. Der Aufwand hierfür ist überschaubar, die Effekte groß.

Bei Wartung, Service und Endabnahme ist die Sichtkontrolle entscheidend für hohe Qualität. Ein scharfer Blick und menschliches Urteilsvermögen sind unersetzbar. Jedoch: Untersuchungen zeigen, dass bei einem Fünftel der Kontrollen Fehler passieren. Was nur zu menschlich ist: Komplexe Produkte, Konzentrationstiefs und unklare Anweisungen lassen Fehler unvermeidlich werden. Wer eine Schicht lang überprüft, ob Schweißnähte sauber oder Löcher exakt gebohrt sind, der wird das schwerlich stets zu 100 Prozent tun können. Oder doch? Wenn sich Inspektionsingenieure bei ihrer Arbeit von künstlicher Intelligenz unterstützen lassen, könnte das fast gelingen. Wie das?

Mit der neuen Lösung Vuforia Step Check von PTC, die Augmented Reality (AR) und künstliche Intelligenz (KI) kombiniert, womit jetzt ein so nie dagewesenes visuelles Inspektionswerkzeug verfügbar ist. Sobald das Tool für eine bestimmte Bauteil- oder Produktlinie eingerichtet wurde, führt es Inspekteure AR-gestützt durch den Prüfprozess, so dass auch eher unerfahrene Fachkräfte zuverlässig mehrstufige Checks durchführen können.

So werden Training und Qualitätsprüfung intelligenter

Zu den ersten Anwendern zählt Nascote Industries, eine Division von Magna International, einem der weltweit größten Zulieferer in der Automobilbranche. Diese Branche steht vor der Herausforderung, dass Fahrzeuge immer komplexer werden, womit auch der Montageprozess an Komplexität gewinnt. Es gibt dutzende Schritte, die in einer spezifischen Reihenfolge und innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens erfolgen müssen. Darin am grünen Tisch mit 2D-Papieranweisungen zu schulen ist zeitaufwendig und führt nicht immer zum Ziel. Anschaulicher und leichter verständlich wird das, wenn Lernende am realen Objekt mit AR-Unterstützung Schritt für Schritt zu den Inspektionspunkten geführt und dort jeweils Anweisungen und Erklärungen auf dem Tablet oder der AR-Brille eingespielt werden. Wobei dies auch direkt bei der eigentlichen Qualitätsprüfung erfolgen kann.

Beispiel Steckverbindungen. Das Problem: Auch wenn die Funktionsprüfung keine Fehler ergibt, kann sich ein Stecker, der nicht vollständig eingerastet ist, im Laufe der Zeit durch Erschütterung beim Fahren lösen und unter Umständen das Fahrzeug lahmlegen. Nascote Industries erprobte Vuforia Step Check bereits bei End-of-Line-Inspektionen von elektrischen Steckverbindungen im Feld, aber auch um Schulungsprozesse zu beschleunigen. Dabei richtet der Hersteller besonderes Augenmerk auf solche „Soft Connections“. Eine KI-gestützte Sichtprüfung verhindert, dass diese übersehen werden.

Wie eine Kontrolle mit KI funktioniert

Was auf denkbar einfache und bedienerfreundliche Weise geschieht: Inspektionsingenieure beginnen entweder damit, eine ID-Nummer für das zu inspizierende Teil manuell einzugeben oder sie scannen den Barcode ein. Auf ihrem Tablet erscheint eine Übersicht aller Schritte, die erledigt werden müssen. Ein grauer Haken zeigt an, welche Inspektionspunkte noch nicht abgeschlossen sind. Ein grüner Haken zeigt bestandene Inspektionspunkte an, während ein roter Haken fehlgeschlagene Checks markiert. Durch Antippen jedes Elements in der Liste werden weitere Informationen oder Instruktionen angezeigt. Ein virtueller Wegweiser leitet den Inspektionsingenieur zu den nächsten Kontrollpunkten, selbst wenn sie außerhalb des aktuellen Sichtfeldes liegen. So wird keiner versehentlich übersehen.

Beim Check gleicht Vuforia Step Check mit dem hinterlegten 3D-Referenzmodell ab, ob beispielsweise Bauteile korrekt montiert wurden. Wenn nicht, kann der Inspektionsingenieur weitere Informationen erhalten, um entweder selbst das Problem zu beheben oder den Inspektionspunkt als „Nicht bestanden“ zu kennzeichnen. Das System kann hierbei äußerst akribisch sein, so dass auch nicht ausreichend angezogene Schrauben, abweichende Spaltmaße oder minimal verrutschte Bohrungen erkannt werden. Nahezu alles, was durch eine Sichtprüfung erkennbar ist, kann gecheckt werden – die KI wird gewissermaßen zum dritten Auge.

Welche Vorteile eine KI-Kontrolle hat

Während der Inspektionsingenieur testet und prüft, erstellt Vuforia Step Check bereits einen Bericht. Sobald alle Inspektionspunkte für eine Prozedur ausgefüllt sind, wird der Report automatisch versandt – was Mitarbeitenden die Arbeit erleichtert. Alle automatisch übermittelten Berichte (die mit Kommentaren zu etwaigen Fehlern und deren Ursachen angereicht werden können) werden in Vuforia Insights erfasst, so dass Verantwortliche jederzeit sehen, was gut läuft und was nicht.

Aber auch die Software wird mit jedem Einsatz besser: Sie lernt hinzu, allein schon, weil einzelne Bauteile aus verschiedenen Blickwinkeln und bei verschiedenen Lichtverhältnissen von den Bedienern erfasst werden, was die KI noch „sehender“ macht. Je öfter das Tool genutzt wird, umso genauer wird die Erkennung, weil der Algorithmus mit jedem Mal dazu lernt. Vuforia Step Check muss man nicht monatelang programmieren und trainieren.

Der initiale Aufwand hält sich in Grenzen: Es reicht zum Start aus, das System mit einem CAD-Modell zu füttern, das bereits während der Designphase vorhanden war. Der Vuforia Editor bietet einen geführten Workflow zum Einrichten von Inspektionspunkten, Anweisungen und dem Hinzufügen zusätzlicher Ressourcen, um dem Inspektionsingenieur zu helfen, der letztlich das Verfahren in der Vuforia Vantage-App verwenden wird. Mit der App kann er sich Arbeitsanweisungs-Verfahren in der Umgebung, in der er die Aufgaben durchführt, anzeigen lassen.

Unternehmen wie Nascote Industries, die eine solche Lösung in bestehende Qualitätskontrollprozesse integrieren, können so die Durchsatzleistung bei bestehenden Produkten erhöhen und die Hochlaufzeiten bei neuen verkürzen – und dabei ein extrem hohes Qualitätsniveau erreichen. Denn Testfehler werden weitgehend verhindert und damit die Kundenzufriedenheit nochmal erhöht. Wesentlich ist auch, dass Kosten durch Ausschuss, Nacharbeit oder Rückrufe reduziert werden. Nicht zuletzt lassen sich die auf dem Shopfloor gesammelten Daten einfacher analysieren, so dass künftige Prozesse und Produkte schneller verbessert werden. Man sieht: KI wird konkret. Sie ist in den Produktionshallen angekommen.

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Der Autor

Dirk Schart

Dirk Schart ist Director Vuforia Go-to-Market bei PTC. Zuvor leitete er das US-Geschäft sowie die Go-to-Market Strategie bei dem AR-Startup RE’FLEKT und entwickelte die patentierte Augmented-Windows-Technologie bei HyperloopTT.