Wie gelingt die Digitalisierung im Labor? – Lösungsansätze, Anwendungsfälle und Perspektiven aus dem Laboralltag

Verfasst von: René Zölfl
7/22/2022

Lesezeit: 5 Min

Die meisten Labore sind durch eine sehr heterogene Gerätelandschaft mit Geräten verschiedener Hersteller bei gleichzeitig geringer Unterstützung durch elektronische Systeme gekennzeichnet. Das Zusammentragen und die Kontextualisierung der erzeugten Daten sind dadurch sehr komplex, fehleranfällig und zeitaufwendig. Die Digitalisierung kann für eine erhebliche Effizienzsteigerung, höhere Datenqualität und mehr Transparenz in vielen Laborbereichen sorgen.

Aktuell werden sehr viele Tätigkeiten manuell von den Labormitarbeitern vorgenommen, anstatt Daten elektronisch zu verknüpfen. Das betrifft beispielsweise manuelle Übertragungen von Geräten in Systeme, um Ergebnisse und Messdaten zu dokumentieren oder weiterzugeben. Dadurch steigt häufig die Fehleranfälligkeit, da Labormitarbeiter die Daten aufschreiben und ablegen müssen, dabei zwischendurch allerdings oftmals den Arbeitsplatz wechseln.

Ein integraler, aber flexibler Architekturansatz ist deshalb notwendig, um das Labor stärker zu digitalisieren. Was wird jedoch wirklich benötigt, um Daten zwischen den Laboren, einzelnen Geräten oder Einheiten austauschen zu können?Im Einsatz befinden sich bereits verschiedene Systeme wie Compound-Managementsysteme, Laborinformationssysteme (LIMS) und Laborexecutionsysteme (LES). Das Zusammentragen der gesammelten Daten, um analytische Fragestellungen zu beantworten oder automatisierte Algorithmen einzusetzen, wird hingegen noch außer Acht gelassen. Eine umfassende Datenverfügbarkeit ist jedoch die Grundlage, um die Daten zu orchestrieren, im Kontext zu visualisieren und Labormitarbeitern aufgaben- oder rollenbasiert zur Verfügung zu stellen.

Der Weg zum digitalisierten Labor

Jedes Digitalisierungsprojekt beginnt mit der Anbindung vorhandener Systeme und Geräte. Hierbei ist darauf zu achten, dass Lösungen zur Konnektivität ein breites Spektrum an gängigen Konnektivitätsprotokollen unterstützen oder die Möglichkeit der Erweiterung um spezifische Protokolle bieten. Es muss sichergestellt werden, dass Zugang zu Geräten und Systemen besteht, um Daten aufnehmen zu können. Sobald dies umgesetzt ist, können die Daten kontextualisiert werden. Somit entsteht eine digitale Repräsentation der realen Welt und die Daten lassen sich nutzen, um Prozesse zu automatisieren. Zum Beispiel sehen Service- und Labortechniker was wo passiert ist und können die Ursachen von Fehlern schneller auffinden und beseitigen. Die Beschaffung von Verbrauchsmaterialien wird optimiert, indem Daten wie geplante Experimente, aktueller Bestand, aktueller Verbrauch verknüpft werden. So können Verbrauchsmaterialien bestellt werden, bevor das Labor keinen Bestand mehr hat. Der erste Schritt weg von papierbasiertem Arbeiten geschieht somit durch die elektronische Weitergabe von Daten. Damit ist auch der Grundstein gelegt, um Informationen mittels Augmented Reality direkt im Kontext des Laborgerätes zu visualisieren oder Labormitarbeitern Anleitungen für die Wartung eines Gerätes oder die Weiterführung eines Experiments an die Hand zu geben.

Im nächsten Schritt lassen sich unter Verwendung verschiedener Algorithmen sogar Vorhersagen zu Ausfällen von Geräten oder der Probenqualität treffen. Predictive/Prescriptive Analytics macht typische Muster erkennbar, wann beispielsweise eine Probe noch im angestrebten Zustand oder erwarteten Ergebniskorridor liegt. Hierbei lernen die Algorithmen anhand der Daten, die von den Systemen bspw. zur Dichte von Objekten oder zu anderen Werten übermittelt werden und können mit vorher definierten Modellen abgeglichen werden.

Diese Schritte führen letztlich zu einem voll digitalisierten Labor. Das bedeutet, dass nicht nur die einzelnen Punkte miteinander verknüpft werden, sondern die entstehenden Daten und Analytik ganzheitlich genutzt werden, um den vollen Mehrwert für die Entscheidungsfindung zu nutzen.

Überwachung und Koordination in Echtzeit - Anwendungsfälle des IoT im Labor der Zukunft

Mit einer umfassenden IoT-Plattform können darüber hinaus individuelle Anwendungen erstellt werden, die die betriebliche Effizienz durch die Verbindung von Überwachung und Interaktion mit Geräten und Systemen steigern.

Das Labormanagement umfasst in der Regel die Koordination von Verfahren, Prozessen und Geräten, um sicherzustellen, dass Tests innerhalb der erforderlichen Fristen abgeschlossen werden. Laborleiter müssen im täglichen Betrieb mehrere Systeme überwachen und verwalten. Die Informationen zu diesen überwachten Geräten, Personen und Prozessen sind in der Regel unzusammenhängend und finden sich über verschiedene Informationssilos verteilt. Die Folge: Laborverantwortliche benötigen sehr viel Zeit, um bestimmte Daten zu finden. Eine IoT-Plattform führt diese Informationen mithilfe einer standardisierten Anwendung in einem System zusammen und reduziert so den Zeitaufwand drastisch.

Die Plattform hilft nicht nur bei der Zusammenführung der Daten, sondern bietet auch Funktionen, die dabei helfen, alltägliche Aufgaben mit geringerem Aufwand zu erfüllen: Zu wissen, wie die Ausrüstung genutzt und betrieben wird, um schnell fundierte Entscheidungen treffen zu können und den reibungslosen und effizienten Betrieb des Labors aufrecht zu erhalten, ist für Laborleiter von zentraler Bedeutung.

Anhand einer Dashboard-Ansicht lassen sich zentrale KPIs, die Geräteleistung, laufende Ausfälle und Wartungsarbeiten in Echtzeit überwachen. Damit wird z.B. sichtbar, wenn geplante Wartungsarbeiten mit bereits geplanten Tests in Konflikt geraten und es besteht die Option, die Tests auf anderen Geräten oder in einem anderen Labor auszuführen oder die Wartung neu zu terminieren. Eine zusammenfassende Ansicht zur Geräteplanung sowie zu Garantie- und Zertifizierungsereignissen gibt einen Überblick über anstehende Geräteüberprüfungen und vereinfacht so die Planung von erforderlichen Neuzertifizierungen oder Garantieabläufen.

Führungskräfte, die standortübergreifend Labore betreuen, profitieren von umfassenden Details zu medizinischen Laboreinrichtungen, deren Standort, Anordnung sowie kritischen Leistungsparametern und Umgebungsdaten. Sobald Werte außerhalb eines definierten kritischen Bereichs liegen oder Geräte beispielsweise wieder für neue Tests zur Verfügung stehen, erhalten sie automatisch eine Benachrichtigung.

Um Planungen zu koordinieren, Tests termingerecht abzuschließen und die ordnungsgemäße Nutzung eines Geräts sicherzustellen, ist es entscheidend zu wissen, wie sich die Ausrüstung in einem Labor verhält. Hierfür stehen im Dashboard Filtermöglichkeiten zur Auswahl, z.B. nach Laborstandort und Gerätetyp. Damit erhalten Verantwortliche schnelle Einblicke in zentrale Daten wie die Auslastung der einzelnen Labore, letzte Wartungsarbeiten oder Garantiezeit und Zertifizierung der Geräte. Sollten Anomalien erkannt werden, können Wartungsarbeiten über die Benutzeroberfläche direkt veranlasst werden. Um die Planung aller Geräte zu koordinieren und zu verwalten, bietet ein Planungs-Dashboard einen Überblick über alle geplanten Reservierungen. Reservierungsanfragen lassen sich direkt über die Applikation beantworten.

Mit Datenverknüpfungen und einem Plattformansatz zu langfristigem Mehrwert 

Eine McKinsey-Studie („Digitization, automation and online testing: The future of pharma quality control“, 2019) verdeutlicht den Mehrwert des IoT anhand eines Beispiels. Ein großer deutscher Pharmahersteller konnte an seinem italienischen Laborstandort mithilfe von Datenverknüpfungen signifikante Verbesserungen erzielen: Ein besserer Ressourcenumgang und eine optimierte Planbarkeit steigerten die Produktivität um 30 Prozent. Durch erweiterte Analytik konnten Abweichungen bei Experimenten früh erkannt und um 80% reduziert werden. Die gesamtheitliche Kontextbetrachtung von Anlagendaten und Prozess sorgte außerdem dafür, dass die Abweichungen um 90% schneller beseitigt wurden.

Der Plattformansatz, bei dem Daten von verschiedenen Systemen und Geräten erfasst und verknüpft werden, ist insbesondere sinnvoll, um die Effizienz von Labortechnikern zu erhöhen und für eine höhere Transparenz zu sorgen. Dabei sollte auf eine erprobte Konnektivitätstechnologie  und eine offene, flexible Integrationsplattform geachtet werden. So ist eine Kommunikation mit bestehenden Systemen herstellerübergreifend gewährleistet. Mithilfe automatischer oder maschineller Datenanalyse lassen sich schnell Vorhersagemodelle für Ereignisse bei Geräten oder erwartete Ergebnisse der Experimente erstellen. Neben der visuellen Darstellung in Dashboards können auf dieser Basis relativ einfach Augmented Reality-befähigte Anleitungen für Anwender bereitgestellt werden, die den Grundstein für einen nachhaltigen Wissenserhalt und -transfer legen.

Digitalisierungsstand und Potenziale in Life Science-Laboren

Das digitale Labor, insbesondere in der Life Science Industrie, ist ein starker Hebel zur Erhöhung von Qualität und Effizienz. Aktuell weichen Wunsch und Realität jedoch noch stark ab: Eine aktuelle Studie des Fraunhofer IPA in Kooperation mit PTC zeigt auf, dass die Digitalisierung in Life-Science-Laboren noch viel Potenzial für weitere Optimierungen bietet. Neben der bestmöglichen Verknüpfung der Daten sehen die Interviewteilnehmer besonders großes Potenzial in der Anwendung von Augmented Reality (AR). Doch die Unwissenheit über die vollumfänglichen Möglichkeiten der Technologie und das erforderliche innerbetriebliche Change-Management hemmen momentan noch die Implementierung einer AR-Lösung. Laborverantwortliche sehen in AR jedoch eine hervorragende Möglichkeit, Prozesse wie die Bedienung und Wartung von Laborgeräten zu erleichtern und die Sicherheit von Experimentprozessen zu erhöhen. Diese und weitere Einblicke in die aktuellen Herausforderungen, Chancen und Mehrwerte der Digitalisierung im Labor finden Sie in dieser Studie.

Fraunhofer IPA & PTC: Digitalisierungsstand und Potenziale in Life-Science Laboren

In welchen Anwendungsfällen sehen Labore den größten Nutzen von AR? Das Fraunhofer IPA und PTC haben bei Laborverantwortlichen nachgefragt. Mehr erfahren
Tags: Industrial Internet of Things Life Sciences Digitale Transformation ThingWorx

Der Autor

René Zölfl

René Zölfl unterstützt Unternehmen in der digitalen Transformation seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn. Seit 2010 arbeitet er bei PTC in Unterschleißheim bei München und berät als Business Development Director Unternehmen in der Life Sciences-Branche. Als Certified Professional for Medical Software (CPMS) verfügt er über fundiertes Wissen zu Anforderungen und Herausforderungen in diesem spezifischen Markt.