Pharmahersteller auf dem Weg zur Nachhaltigkeit

Verfasst von: René Zölfl
11/23/2023

Lesezeit: 5 min

Neben dem Druck der Regulierungsbehörden, genießt Nachhaltigkeit für Investoren, Öffentlichkeit und Mitarbeitende oberste Priorität bei der Auswahl von Partnern, Kunden und Arbeitgebern. Darüber hinaus hat sich die Pharmaindustrie selbst verpflichtet, innerhalb des nächsten Jahrzehnts klimaneutral zu werden. Hinzu kommt: Nachhaltigere Unternehmen senken ihren Energieverbrauch und verursachen weniger Abfall – was besonders in der Gesundheitsbranche ein kritischer Faktor ist.

Weniger Energieverbrauch und Abfall durch IIoT

Digitale Technologien wie das industrielle Internet der Dinge (IIoT) und Augmented Reality (AR) können Pharmahersteller dabei unterstützen, nachhaltiger, umwelt- und sozialfreundlicher zu agieren. So kann das IIoT Unternehmen helfen, den Energieverbrauch zu überwachen und zu optimieren sowie Abfall durch Produktivitäts- und Qualitätsverbesserungen zu reduzieren und die Umweltauswirkungen ihrer Lieferkette zu verfolgen. IoT-Sensoren können beispielsweise Temperatur, Luftfeuchtigkeit und andere Faktoren bei der Lagerung und dem Transport überwachen, um sicherzustellen, dass die Produkte unter den richtigen Bedingungen gelagert werden. Weitere wichtige Ansatzpunkte für eine nachhaltigere Produktion sind die Erhöhung der Nutzung bestehender Produktionskapazitäten sowie die Vermeidung von Stillstand.

Unter anderem das gelingt mit ThingWorx Digital Performance Management (DPM) des US-Softwareherstellers PTC. Die Lösung bietet Fertigungsteams ein umfassendes Entscheidungsfindungs-Tool, das Probleme, die zu Produktionsausfällen führen, identifiziert und priorisiert, womit weitere Ausfälle vermieden werden können. Durch das Verständnis der Ursachen können Fachkräfte die wirkungsvollsten Verbesserungen ermitteln und die Anzahl der Betriebsstunden in den Fabriken optimieren, wodurch Energie sowohl im Prozess als auch bei Anlagen eingespart wird. Somit unterstützt die Lösung einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der sich u.a. an den Prinzipien von LEAN orientiert. Verbesserungen werden somit konsistent und nachhaltig realisiert

Die Beseitigung der Ursachen für Ausschuss, sei es aufgrund von Maschinenproblemen oder menschlichem Versagen, hilft den Produktionsteams, den Verbrauch von Betriebsressourcen sowohl bei den primären Vorgängen als auch bei der Nacharbeit, bei der Menge der zu entsorgenden Abfallprodukte sowie bei den Lieferketten zu begrenzen. Durch die Optimierung der Instandhaltung mithilfe von IIoT-gestützter Anlagenüberwachung und vorausschauender Wartung können Produktionsteams die Nutzungsdauer von Maschinen in der Produktion maximieren.

Unternehmen, die IIoT-Technologien erfolgreich einsetzen, erzielen erhebliche Reduzierungen von CO2-Emissionen, Abfall und Wasserverbrauch sowie Verbesserungen der Energieeffizienz. Das Weltwirtschaftsforum listet in seinem Global Lighthouse Network mehrere Projekte auf, wie Unternehmen durch Implementierung von industriellen IoT-Sensoren und digitalen Plattformen erfolgreich umgestaltet wurden, was deren Effizienz, Wachstum und Nachhaltigkeit verbesserte. So konnte unter anderem der Energieverbrauch und die CO2-Emissionen um ein Viertel verringert werden.

Warum die digitale Datenerfassung so wichtig ist

Wie das möglich wird, zeigt SIG, ein Hersteller aseptischer Kartonverpackungen. Zwar ist das Schweizer Unternehmen bereits nachhaltig aufgestellt und erfasst wesentliche Kennzahlen (KPI), etwa über Erfolg, Leistung oder Auslastung des Betriebs, durch ein Manufacturing Execution System (MES), doch es galt, noch kostenbewusster und nachhaltiger zu agieren, um sich gegenüber Wettbewerbern zu differenzieren.

Also arbeitete das Unternehmen mit seinem Partner PTC daran, Abläufe in der Produktion noch stärker zu vernetzen und transparenter zu machen. Zunächst identifizierte SIG Bereiche, in denen der Bedarf an manuellen Eingaben reduziert werden könnte. Ziel ist die vollständige Vernetzung der Produktion, durch die alle Systeme und Maschinen miteinander kommunizieren und kooperieren können.

SIG implementierte eine flexible IoT-Lösung, die Kommunikation, Konnektivität und Sichtbarkeit ermöglicht und gleichzeitig bestehende Systeme nutzt. PTC half dabei, unterschiedliche Datenquellen zu harmonisieren und die Transparenz im gesamten Werksbetrieb zu erhöhen.

Nachdem es keine manuellen Eingaben mehr gab, konnten durch die Digitalisierung der Datenerfassung exakte Echtzeitdaten gewonnen werden, wodurch die Basis geschaffen wurde, Anlagen effizienter zu fahren - womit letztlich der Energie- und Materialverbrauch weiter reduziert werden konnte. Etwa dadurch, dass nun Mikroausfälle auffielen, die bislang aufgrund manueller Aufzeichnungen nicht nachverfolgt wurden. Mithilfe von Echtzeitdaten wurden also bisher verdeckte Probleme sichtbar, so dass Ausfallzeiten sowie andere Inkonsistenzen in den Produktionsmaschinen behoben werden konnten.

So werden versteckte Energieverbraucher aufgedeckt

Außerdem konnten in das Produktionsnetzwerk einfach Stromzähler eingebunden werden, die offenbarten, dass einige Maschinen mehr Energie als nötig verbrauchten. Die zusätzliche Sichtbarkeit des Energieverbrauchs der Maschinen ist einer von vielen Hebeln, um den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Letztlich sorgte die Lösung für volle Transparenz in Daten, die zuvor schwer zu ermitteln waren.

Von Werksleitern bis zu Entscheidungsträgern in Unternehmen ermöglicht die betriebsübergreifende Transparenz, Aufgaben zu priorisieren und zu verstehen, welche Probleme angegangen werden müssen. Produktionsleiter und Bediener können Maschinen ausfindig machen, die zu viel Energie verbrauchen, selbst wenn sie nicht laufen, was auf ein mechanisches Problem hinweisen könnte. Oder sie können sofort handeln, um Ausfallzeiten zu reduzieren. Darüber hinaus müssen Bediener nicht mehr hektisch Stillstandszeiten erfassen, was ihre Arbeit erleichtert. Und Entscheidungsträger haben jetzt eine solide Grundlage, um Prozesse und Produkte zu verbessern.

Auch an anderer Stelle kann durch Digitalisierung mehr Nachhaltigkeit bewirkt werden. Das zeigt Thermo Fisher Scientific, ein Pharmaunternehmen aus USA, das an seinem Standort in Grand Island, New York, auf die Herstellung von Salznährböden spezialisiert ist.

So beschleunigt Thermo Fisher mit Hilfe der DPM-Lösung die Fehleranalyse, spürt schneller Engpässe in der Produktion auf und kann diese zügig beheben. Ziel bei Einführung war es, die OEE-Zahl zu verdoppeln – und das wurde bereits nach einem halben Jahr zu 75 Prozent erreicht. Was nicht nur einem Millionenmehrwert entspricht, sondern auch einem deutlich nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen. Auch eine steigende Nachfrage kann Thermo Fisher dadurch mit existierenden Ressourcen beantworten. Das erhöht ebenfalls die Nachhaltigkeit des Unternehmens.

Nachhaltiger durch Augmented Reality

DPM ist ein wesentlicher Baustein einer umfassend angelegten IIoT-Strategie. Zu der gehören auch Augmented Reality-Anwendungen (AR). Etwa um virtuelle Rundgänge möglich zu machen, sodass die Effizienz bei Wartungsarbeiten gesteigert werden kann.

Darauf setzt das Pharmaunternehmen Merck an seinem Standort Haarlem. Dort werden täglich mehr als 3.200 verschiedene länderspezifische Arzneimittel sowie Impfstoffe produziert, verpackt und in 140 Länder geliefert. Um das Material zu bewegen, werden „Autonomous Guided Vehicles“ (AGVs), autonome Materialhandhabungsroboter, eingesetzt. Damit der gesamte Prozess reibungslos abläuft, müssen Bediener und Wartungstechniker geschult werden – denn selbst ein kleiner Fehler kann eine ganze Charge lebensrettender Medikamente vernichten. Anstatt mit papierbasierten Arbeitsanweisungen stellt Merck mit GATE, einer AR-Plattform erstellt mit Vuforia Expert Capture von PTC, sicher, dass die Fehlerquote deutlich sinkt und Wartungen rechtzeitig durchgeführt werden. Arbeitsanweisungen, Trainings oder Erklärvideos werden mit Schritt-für-Schritt-Anleitungen auf Computer, Laptops, Tablets, Telefone oder SmartGlasses wie RealWear und HoloLens gespielt. Das sorgt nicht nur für die nötige Sicherheit, sondern reduziert auch den Papierverbrauch des Unternehmens deutlich. So konnte Merck seinen Bedarf an Verbrauchsmaterialien sowie den Materialabfall auf ein Viertel reduzieren. Dadurch sind auch die Herstellungskosten gesunken. Außerdem verzeichnet das Unternehmen nun weniger Batchverluste. Diese Ergebnisse belegen, wie wirksam Unternehmen mit Hilfe von AR Ressourcen schonen können.

Mit AR können Mitarbeitende auch im nachhaltigen Umgang mit Ressourcen geschult werden oder darin, wie sich der Energie- und Materialverbrauch senken lässt. Heutzutage wirkt sich die große Anzahl von Standardarbeitsanweisungen (SOPs) auf Nachhaltigkeitsmaßnahmen aus. Traditionell werden diese SOPs auf Papier geliefert, was häufig zu Fehlern und in der Folge zu Ausschuss, Abfall oder Nacharbeit führt. Fehler, etwa bei der Linienfreigabe oder beim Einrichten von Anlagen, können darüber hinaus zur Verunreinigung von Chargen oder zur Beschädigung von Anlagen führen. Durch die Digitalisierung der Erstellung, Verwaltung, Bereitstellung und Nutzung von SOPs bieten AR-Lösungen den Schulungs- und Fertigungsteams eine elektronische Möglichkeit, die erforderlichen Informationen im richtigen Kontext und bei Bedarf bereitzustellen

Untersuchungen haben gezeigt, dass die Anleitung von Mitarbeitern mit AR effektiver und nachhaltiger ist als das Lesen von Anweisungen auf Papier. Kunden, die AR-Lösungen von PTC eingesetzt haben, schätzen das Einsparungspotenzial auf bis zu 27 Mio. US-Dollar, wobei die Verringerung von Ausschuss und Fehlern den Hauptanteil ausmacht. Mit anderen Worten: Klare, intuitive Anweisungen via AR helfen, übermäßigen Ressourcenverbrauch zu verhindern.

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Tags: Industrial Internet of Things Augmented Reality Life Sciences Nachhaltigkeit Einhaltung von Normen und Vorschriften

Der Autor

René Zölfl

Rene Zölfl, Global Industry Advisor Life Science, unterstützt Life Science-Unternehmen bei ihrer Transformation hin zu mehr Agilität durch Industrie 4.0 und Digitalisierung. Er hat den Life Science-Markt bei PTC in Deutschland aufgebaut. Aufgrund seiner Erfahrung hat er ein tiefes Verständnis dafür, wie neue Technologien die digitale Transformation unterstützen, wie Hersteller von der Digitalisierung in verschiedenen Prozessbereichen profitieren können und wie sich Vorschriften auf diesen Wandel auswirken. Als Vorsitzender des PTC Healthcare Executive Advisory Council organisiert und leitet Rene gemeinsame Workshops mit PTCs strategischsten Life-Science-Kunden und PTC-Führungskräften zu Themen und Anforderungen der Branche. 

René ist Mitglied der ISPE und arbeitet in der Special Interest Group "Pharma 4.0" mit. Er hat auch als Co-Autor zum acatech Industrie 4.0 Maturity Index beigetragen, der im März 2017 veröffentlicht wurde. 

René kam im Oktober 2010 zu PTC. Vor seiner Tätigkeit bei PTC war er in verschiedenen Positionen in den Bereichen Consulting, Portfolio Management und Marketing bei Siemens tätig.